Widerstand im Reichsluftfahrtministerium. Rüdiger Schleicher und der 20. Juli

Neben Harro Schulze-Boysen dürfte Rüdiger Schleicher der prominenteste Mitarbeiter des Reichsluftfahrtministeriums gewesen sein, welcher sich im Widerstand gegen den NS-Staat engagierte. Das RLM beziehungsweise die Luftwaffe zeichnete sich nicht dadurch aus, unverhältnismäßig viele Dissidenten, Freigeistler oder gar Regime-Gegner in ihren Reihen gehabt zu haben. Entgegen dem Heer oder der Marine fehlte es in der Luftwaffe an hochrangigen Militärs, welche dem Widerstand nahestanden oder ihn unterstützten. Dennoch fanden sich in den Reihen der Reichsbeamten der Luftfahrt Abweichler, welche nicht der Norm eines idealtypischen NS-Beamten entsprachen. Beispielsweise nahm es das RLM nicht ganz so genau, wenn Bewerber auf eine Zugehörigkeit bei den Freimauern zurückblicken konnten oder ehemals Mitglied einer dem konservativen Spektrum zuzurechnenden Partei waren. Ferner war die Parteimitgliedschaft nicht in allen Abteilungen (u. a. Wetterdienst) obligatorisch.

Rüdiger Schleicher galt aus Sicht des NS-Staats, zumindest was seine politische Vorkarriere betraf, als politisch belastet. Er wuchs als ältester von vier Söhnen des Obermedizinalrats Dr. Otto Schleicher in Stuttgart auf. Die literarisch und künstlerisch versierte Mutter Gertrud, geborene Rüdinger, arbeitete beim württembergischen Roten Kreuz. Die Familie konnte auf eine prominente Beamtenkarriere ihrer Vorfahren zurückblicken, denn beide Großväter waren in führenden Positionen im württembergischen Staatsdienst tätig gewesen.

Rüdiger Schleicher | BArch PERS 6/183510

Schleicher wuchs in geordneten Verhältnissen auf. Er genoss eine vollumfängliche musikalische Erziehung in einer musikalischen Familie. 1913 legte er das Abitur am humanistischen Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart ab. Ein Mitschüler bemerkte 1946 rückblickend: „Politisch waren wir Schüler natürlich durchtränkt von Patriotismus, wie es unserer Erziehung und der Einstellung unserer Väter entsprach.“ Ein „gewisser demokratischer Zug“ habe sich aber dennoch bei Schleicher „früh bemerkbar“ gemacht. Sein ehemaliger Prälat, welcher ihn konfirmierte, erinnerte sich 1946 an Schleicher als einen sehr religiösen Mann mit einer „zarten Gewissenhaftigkeit“ und einem „empfindsamen Rechtsgefühl.“ Ein Freund Schleichers beschrieb ihn in der gemeinsamen Stuttgarter Jugendzeit: „Schon als junger Schüler hatte er oftmals Bedenken über Dinge, die den anderen ganz unbedenklich erscheinen. Er machte es sich oft schwer damit, dass er niemanden weh oder recht tun wollte und den höchsten Maßstab der Gerechtigkeit anlegte.“

Nur wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Schleicher an der Westfront so schwer verletzt, dass er den Großteil des Kriegs im Lazarett verbrachte und 1917 aus dem Militärdienst entlassen wurde. Die Folgen der Verletzung sollten ihn bis an sein Lebensende begleiten. 1915 fiel sein jüngerer Bruder Hans. Zwei Jahre darauf verstarb seine Mutter an den Folgen eines Unfalls. Schleicher schrieb sich noch im Krankenbett an der Universität Tübingen ein und studierte nach seiner Entlassung Jura. 1924 wurde er zum Thema „Das internationale Luftfahrtrecht“ promoviert. Ein Desiderat, denn das Luftrecht war mit dem Versailler Vertrag und seinen Anschlussverträgen überhaupt erst geschaffen worden. Schleicher verortete sich während seines Studiums im Liberalismus und sah sich nach Kriegsende als einen Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Sein frühes politisches Engagement kulminierte kurz darauf im Eintritt der DDP, aus welcher er allerdings, Anfang der 20er Jahre, wieder austrat. Einer liberalen Grundeinstellung blieb er jedoch Zeit seines Lebens treu.

1922 zog es ihn in den Staatsdienst nach Berlin ins Reichsverkehrsministerium, wo er als juristischer Hilfsarbeiter die Ausführungsbestimmungen zum neuen Luftfahrtgesetz mit zu verantworten hatte. Im selben Jahr absolvierte Schleicher, als erster seiner Familie, seinen ersten Flug. In einem Brief an seine Großmutter schwärmte er von der Luftfahrt als seiner neuen Profession und schrieb: „Ich bedauere bloß, dass ich nie früher Gelegenheit dazu hatte.“

In Berlin lernte er die Familie Bonhoeffer kennen und heirate im Mai 1923 die Sozialfürsorgerin Ursula Bonhoeffer, das vierte Kind der Familie. Aus der Ehe sollten vier Kinder hervorgehen. Die Familie Bonhoeffer wurde nicht nur aufgrund ihrer schwäbischen Herkunft und der Eheschließung der zentrale Lebensmittelpunkt von Schleicher. Es war auch die Identifikation mit der Weimarer Republik, die humanistische Gesinnung und das tiefe religiöse Bekenntnis, welches die Bonhoeffers und Schleicher teilten. Allesamt sahen sie die antidemokratischen und antisemitischen Entwicklungen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre im Deutschen Reich mit Sorge. Obwohl Schleicher die zweite Hälfte seines Lebens in Berlin verbrachte, blieb er innerlich seiner alten Heimat eng verbunden. So merkte sein Sohn Hans-Walter später an: „Im Herzen [war] er ein Schwabe, der ein gewisses Heimweh nach Württemberg und seinen schwäbischen Dialekt nie ganz verlor.“ Bezeichnenderweise soll er, seiner ehemaligen Sekretärin Annelise Schwarz zufolge, im RLM gegenüber Fernstehenden und Vorgesetzten nie „Heil Hitler“ sondern immer nur „Grüß Gott“ gesagt haben.

In mehreren Publikationen bezog er Stellung im Rahmen der Diskussion über eine Luftkriegsdoktrin und die Frage, in welchem Verhältnis diese zur Haager Landkriegsordnung stehen sollte. Dabei lehnte Schleicher die Bombardierung von unverteidigten zivilen Zielen grundsätzlich ab. Während seiner kurzen Tätigkeit im Auswärtigen Amt in der Deutsch-Amerikanischen Schiedskommission konnte er der Beilegung internationaler Streitfragen durch ein Schiedsgericht Positives abgewinnen, was darin gipfelte, dass er den Entschädigungszahlungen des Deutschen Reichs bezüglich der Versenkung der Lusitania zustimmte. Nach beruflichen Zwischenstationen in Hamburg und seiner württembergischen Heimat wechselte er 1927 zurück ins Reichsverkehrsministerium in die Abteilung Luftfahrt.

„Das bedeutet Krieg!“ Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gab Rüdiger Schleicher, so erinnerte sich sein Sohn an den 30. Januar 1933, eine düstere aber treffende Prognose ab. Mit der Machtübernahme der NSDAP wurde 1933 die Abteilung Luftfahrt aus dem Reichsverkehrsministerium herausgenommen und ins neu gegründete Reichsluftfahrtministerium übergesiedelt. Dort wurde er, ein Jahr zuvor zum Ministerialrat befördert, 1935 Leiter der Rechtsabteilung, welche aus fünf, beziehungsweise zeitweilig sechs Referaten (Generaljustitiar, Wehrrecht, Allgemeines Strafrecht, Volksgerichtshof, Völkerrecht und zeitweise Personal) bestand. Zum 1. Mai 1933 trat Schleicher der Partei bei. Im Verhör durch die Gestapo gab er 1944 zu Protokoll: „Da meine gesamten Berufskollegen in die NSDAP eintraten, wurde ich ebenfalls Mitglied. Ich war damals der Überzeugung, dass man nur als Parteigenosse im nationalsozialistischen Staat wirken kann. Aus innerer Überzeugung bin ich nicht in die NSDAP eingetreten. […] Mitglied bin ich aus Zweckmäßigkeitsgründen geworden, um mich nicht innerhalb meiner Abteilung […] außerhalb der Reihe zu stellen.“

Sein Sohn Hans-Walter erinnerte sich, wie er mit seinem Vater am letztmöglichen Tag abends vor der drohenden Aufnahmesperre im Mai vor dem Parteibüro gestanden habe und mehrfach umgekehrt sei. Der Beitritt sei in der Familie lange diskutiert worden. Im späteren Gnadengesuch seiner Frau heißt es: „Als der jetzige Generalleutnant Dahlmann ihn [Schleicher] im Auftrag des Ministers aufforderte, in die Partei einzutreten, hatte er Bedenken, für einen Opportunisten gehalten zu werden.“

Christian Freiherr von Hammerstein | BArch PERS 6/146648

Ein Blick auf die Parteibücher seiner Kollegen offenbart ein ambivalentes Bild. Die Rechtsabteilung bestand 1933 zwar aus Parteimitgliedern, in Folge der zahlreichen Erweiterungen wurden jedoch nicht nur Parteimitglieder eingestellt, so beispielsweise der spätere Ministerialdirigent Eugen Schmitt, welcher 1936 als Referent unter Schleicher anfing und erst im Jahr darauf Mitglied wurde. (Dies ist möglicherweise auf den temporären Aufnahmestopp zurückzuführen). Gleiches galt für Oberkriegsgerichtsrat Hans-Ulrich Rottka und Hans Müller (später Fokken), die anfingen, 1936 unter Schleicher zu arbeiten, und scheinbar nie Parteimitglieder wurden. Schleichers Nachfolger der Rechtsabteilung, welchen er selbst eingestellt hatte, wurde 1939 der spätere Ministerialdirektor Christian Freiherr von Hammerstein. Von Hammerstein war ebenfalls kein Parteimitglied und wurde es auch später nicht. Bezeichnenderweise waren es gerade jene Mitarbeiter des RLM, die über kein Parteibuch verfügten, die von Schleicher eingestellt wurden. Kollegen wie Ministerialrat Wilhelm von Studnitz traten zum letztmöglichen Zeitpunkt vor dem Aufnahmestopp zum 1. Mai 1933 in die Partei ein.

Aus von Hammersteins Nachlass ist der Hinweis enthalten, dass Schleicher von seinem Recht als Abteilungsleiter, beim Reichsluftfahrtminister Hermann Göring vorzusprechen, scheinbar nie Gebrauch gemacht habe. Das Verhältnis zwischen Schleicher und Göring sei von Anfang an, so Sohn Hans-Walter Schleicher, „gespannt“ gewesen.

Die Personalakten des RLM zeichnen in dieser Zeit ein stark expandierendes Ministerium, welches händeringend in allen Fachbereichen nach Personal suchte. Dies galt auch für Schleichers Abteilung, welche „Unterstützung für die Bearbeitung der militärrechtlichen Angelegenheiten des Hauses“ benötigte. Ferner waren der „ständig steigende Anfall von Straf- und Disziplinarsachen in der Fliegerschaft“ und die Bearbeitung von Wehrmachtgesetzen ein weiterer Grund, „umgehend“ neues Personal „einzuberufen“. Anfragen nach juristischem Militärpersonal beim Reichswehrministerium wurden kategorisch abgelehnt, da dort ebenfalls Fachkräftemangel herrschte.

1937 wurden Schleicher die Referate Wehrrecht und Personal entzogen. Als Grund hierfür gab sein Vorgesetzter, General der Flieger Bodo von Witzendorff in der dienstlichen Beurteilung Schleichers Folgendes an: „Schleicher ist mehr Wissenschaftler wie Praktiker. […] Fehlen tut ihm die Entschlusskraft. […] Bei den Personalien wirkte sich seine fehlende Menschenkenntnis gepaart mit seiner Gutmütigkeit oft nicht günstig aus. Auch das Strafrecht lag ihm nicht so. […] Ich habe daher […] ihm die Personalien und das Strafrecht abgenommen“. 1939 musste Schleicher die Referate Gesetzgebung und Völkerrecht abtreten. Von Witzendorff bemühte sich allerdings, dass Schleicher eine Honorarprofessur an der Technischen Universität Berlin antreten konnte. Auch von Hammerstein sprach in seinen Memoiren von Schleichers „Gutmütigkeit“, welche sich „mehrfach ungünstig ausgewirkt“ haben soll.

Im Luftrechtsausschuss, dem Schleicher regelmäßig beisaß, setzte er sich dafür ein, dass Berthold Graf Schenk von Stauffenberg, Klaus Bonhoeffer und Hans John aufgenommen wurden. Ob Schleicher die drei späteren „Verschwörer“ aus anderen Gründen als ihrer juristischen Kompetenz vorschlug, muss offen bleiben. Sein Einsatz im Ausschuss dafür, die Haager Landkriegsordnung auf die Luftkriegsführung beim Überfliegen neutraler Gewässer anzuwenden und sein Einsatz für die Achtung der „religiösen Überzeugung“ im Rahmen einer Konzeption der Besatzungspolitik dürfte mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass Schleicher kurz vor Kriegsausbruch 1939 von seinem Posten als Leiter der Rechtsabteilung abgelöst wurde. Man versetzte ihn auf einen relativ unbedeutenden Posten im Allgemeinen Luftamt des RLM. Dort allerdings wurde ihm von seinem neuen Vorgesetzten Generalintendant Alfred Wegerdt eine lobende Beurteilung ausgestellt.

Hans von Dohnanyi | Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Sig. Bildnr. 10016391

Anfang der 40er Jahre wurde das konspirative Netz engmaschiger und die Fäden liefen immer wieder im Hause Bonhoeffer zusammen. Eine andere Tochter der Familie Bonhoeffer, Christine, hatte Hans von Dohnanyi geheiratet, welcher im Reichsjustizministerium, später in der Abwehr beschäftigt war und dort gemeinsam mit Wilhelm Canaris und Hans Oster dem Widerstand zuarbeitete. Dohnanyi und Schleicher verband neben der familiären Situation die gleiche fachliche Profession und politische Haltung. Dieser soll ihn wohl auch 1938 in die Umsturzpläne eingeweiht haben. Obwohl Schleicher keine treibende Kraft im Netzwerk der Verschwörer war, versuchte auch er, Kontakte zu potentiellen Widerständlern zu knüpfen. So soll er im Austausch mit Eugen Bolz und Robert Bosch gestanden haben.

Räumlichkeiten im Institut für Luftrecht, welchem Schleicher seit 1940 als Direktor vorstand, wurden zunehmend für konspirative Treffen in Beschlag genommen. Klaus Bonhoeffer, welcher seine neue Anstellung als Syndikus bei der Lufthansa einer Vermittlung Schleichers zu verdanken hatte, bezog seinen Mitarbeiter Otto John in die Verschwörung mit ein und dessen jüngerer Bruder Hans fand im Institut für Luftrecht eine Anstellung. Aber auch in der Privatwohnung von Schleicher, welche unweit vom Haus der Bonhoeffers lag, fanden Treffen stand. Im Falle eines erfolgreichen Umsturzes sollte es Schleicher zufallen, die zivile Luftfahrt neu zu ordnen.

Der erste Rückschlag erfolgte, als Dietrich Bonhoeffer und von Dohnanyi am 5. April 1943 verhaftet wurden. Schleicher bemühte sich vergeblich um Entkräftigung der Anklage. Obwohl am Attentatsversuch durch von Stauffenberg niemand aus dem Familienumfeld der Bonhoeffers direkt beteiligt war, wurden nach dem Scheitern des Umsturzes am 20. Juli durch einen Fund der Gestapo von Umsturzplänen viele im Umfeld der Bonhoeffers verhaftet. So trafen es im August und Oktober Hans John, Klaus Bonhoeffer, Friedrich Perels, ein Freund Dietrich Bonhoeffers, Eberhard Bethge, der Schwiegersohn Schleichers und schlussendlich Schleicher selbst.

Schleicher wurde in das Gefängnis Lehrter Straße in Moabit eingeliefert. In den Verhören mit der Gestapo gab er zu Protokoll: „In innerpolitischer Hinsicht konnte ich mich insbesondere nicht mit den scharfen Entjudungen und den scharfen Maßnahmen gegen die Staatsfeinde sowie mit dem Vorgehen gegen die Kirche anfreunden. […] Ich lehne das nationalsozialistische Regime ab.“

Im November 1944 wurde Schleicher von Göring rückwirkend zum 7. Oktober 1944 aus der Luftwaffe ausgestoßen. In der Anklageschrift vom 20. Dezember 1944 heißt es: „Die Angeschuldigten Dr. Bonhoeffer und Dr. Schleicher haben sich durch ihre Teilnahme an vorbereitenden Besprechungen und die Bereitwilligkeit zur Übernahme eines Amtes oder zur sonstigen Mitarbeit der Teilnahme an dem Hochverrat der Verschwörerclique […] schuldig gemacht. […] Beide haben sich durch ihr Tun auch an dem Mordanschlag auf den Führer beteiligt.“

Dietrich Bonhoeffer 1939 | Bilder seines Lebens © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des Präsidenten Roland Freisler verurteilte Schleicher am 2. Februar 1945 zum Tode. Unterschreiben konnte Freisler das Urteil nicht mehr, da er tags darauf bei einem Bombenangriff auf das Gerichtsgebäude ums Leben kam. In einem Brief von Ehefrau Ursula Schleicher an ihren Sohn Hans-Walter ist die Geschichte überliefert, dass es sich nach dem Bombenangriff bei dem nächst erreichbaren Arzt, welcher nur noch Freislers Tod habe feststellen können, um Schleichers Bruder Rolf gehandelt habe, welcher für den Prozess verspätet von der Ostfront angereist war. Dieser habe die Ausstellung eines Totenscheins davon abhängig gemacht, beim Reichsjustizminister Otto Georg Thierack vorstellig werden zu dürfen. Thierack soll daraufhin zugesagt haben, die Vollstreckung des Todesurteils aufzuschieben, bis das Gnadengesuch des Bruders eingegangen sei.

Der Familie waren die geringen Erfolgsaussichten eines Gnadengesuchs bewusst. Ihnen war jedoch klar, dass der Zusammenbruch des Deutschen Reichs unmittelbar bevorstand, es galt daher, so viel Zeit wie möglich zu gewinnen. Ehemalige Kollegen aus dem RLM wie Generalintendant Reinhard Winterhoff und Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung wie Hans-Odo Stammwitz schlossen sich dem Gnadengesuch an. Selbst sein ehemaliger Vorgesetzter im Reichsverkehrsministerium, Ministerialdirektor Ernst Brandenburg setzte sich für ihn ein. Schleichers Nachfolger als Abteilungsleiter von Hammerstein hingegen, obwohl er im Nachhinein die Zeit in der Rechtsabteilung unter Schleicher als „menschliche Gemeinschaft“ bezeichnete, weigerte sich.

Die Bemühungen der Familie waren letztlich vergeblich. In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 wurde Rüdiger Schleicher, ebenso wie Klaus Bonhoeffer, Hans John und zwölf andere Mitgefangene, von einem Sonderkommando des SS-Reichssicherheitshauptamts auf einem Ruinengelände nahe dem Gefängnis durch Genickschuss ermordet – zwei Wochen nach Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi, die man am 9. April 1945 in den KZ Flossenbürg und Sachsenhausen ermordet hatte.

Es war keine zentrale Rolle, die Schleicher im Kreise des Widerstands einnahm. Entscheidender war vielmehr der Umstand, dass es sonst niemanden in den Reihen der Luftwaffe gab, welcher dem Widerstand hätte zuarbeiten können. Für das Forschungsprojekt lässt dies daher den Schluss zu, dass das Personal des RLM in weiten Teilen, zumindest was die Loyalität zum NS-Staat betraf, als homogen anzusehen ist.

 

Quellen und Literatur

BArch PERS 6/183509.

BArch PERS 6/183510.

HStAS M 430/3 Bü 9892.

IfZArch, ED 84.

 

Bethge, Eberhard; Bethge, Renate & Gremmels, Christian (Hrsg.): Dietrich Bonhoeffer. München 1986.

Bethge, Eberhard; Bethge, Renate (Hrsg.): Letzte Briefe im Widerstand. Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer. München 1984.

Bracher, Karl Dietrich: Rüdiger Schleicher, in: Zeugen des Widerstands. Ehemalige Studenten der Universität Tübingen, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus starben. (Hrsg. v. Joachim Mehlhausen). Tübingen 1998.

Fest, Joachim: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin 1994.

Gerrens, Uwe. Rüdiger Schleicher. Leben zwischen Staatsdienst und Verschwörung. Gütersloh 2009.

Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Spiegelbild einer Verschwörung. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Erster Band. Stuttgart 1984.

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