Von der Front ins Ministerium: Zur Rekrutierung der Referenten Gebhard Ludwig Himmler, Wilfred von Oven und Kurt Frowein für das Reichserziehungs- und das Reichspropagandaministerium

Mit dem Überfall des Deutschen Reichs auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Bereits zum August waren die Einberufungsbefehle der Wehrmacht ergangen, so auch an Gebhard Ludwig Himmler (1898-1982), den älteren Bruder des Reichsführers SS Heinrich Himmler, der als Kompanieführer in den Krieg einziehen sollte. Wilfred von Oven (1912-2008) und Kurt Frowein (1914-1964) wurden im Polenfeldzug als Kriegsberichterstatter der Propagandakompanien eingesetzt.

Zum Zeitpunkt seiner Einberufung leitete der studierte Maschinenbauingenieur Gebhard Ludwig Himmler als Oberstudiendirektor das Oskar-von-Miller-Polytechnikum in München. Noch vor seinem Studium hatte er sich in den Jahren 1917/18 zum Berufsoffizier ausbilden lassen, um ab April 1918 auch am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Im November 1919 trat er – gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich – der Schützenbrigade 21 bei, die Teil der Reichswehr war und auch das ehemalige „Freikorps Epp“ umfasste, das an der Zerschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt gewesen war. 1923 schloss er sich dem Wehrverband „Reichsflagge“ an, der in München Ernst Röhm unterstand und dem Heinrich Himmler schon im Jahr zuvor beigetreten war; am 9. November 1923 nahmen beide am bekanntlich niedergeschlagenen „Hitler-Putsch“ teil.

Im Sommer 1923 hatte Gebhard Ludwig Himmler auch sein Studium an der Technischen Hochschule München abgeschlossen. Nach verschiedenen (Hilfs-)Anstellungen verschlug es ihn schließlich in den Gewerbeschuldienst an der Städtischen Berufs- und Gewerbeschule für Feinmechaniker in München. Parallel dazu behielt er aber auch seine militärische Karriere im Blick. Als im März 1935 die allgemeine Wehrpflicht entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrags wiedereingeführt wurde, meldete er sich zur Ausbildung und rangierte ab Sommer 1936 als Leutnant der Reserve.

Einmarsch in Polen am 1. September 1939 | Scherl Bildverlag, Bundesarchiv, Bild 183-E10457, CC-BY-SA 3.0

Seine Einberufung zum August 1939 dürfte er dementsprechend begrüßt haben. Dass er „eine prächtige Kameradschaft“ zu führen gehabt habe, hielt er jedenfalls in den 1970er Jahren in seinen „Erinnerungen“ fest. Zunächst in der Slowakei in Bereitschaft stehend, überschritt sein Regiment am 1. September bei Čadca die Grenze und marschierte in Polen ein. Den Überfall auf Polen bezeichnete Himmler rückblickend als „Kriegsepisode“, aus der seine Kompanie „trotz manches Husarenstückchens, das wir während des rasanten Vormarsches drehten, mit nur 2 Verwundeten und einem angeschossenen Wagen“ herausgekommen sei – dank seiner Fronterfahrung aus dem Ersten Weltkrieg. Die Kampfhandlungen endeten für Himmlers Regiment Mitte September bei Lemberg, und im Oktober wurde es zwecks Vorbereitung des Westfeldzugs an den Niederrhein verlegt.

Himmlers Einsatz bei der Wehrmacht währte jedoch nur kurz. Denn schon im Dezember 1939 wurde er als Referent für die Ingenieursschulen ins Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) nach Berlin berufen und unabkömmlich („u.k.“) gestellt. Für den Posten vorgeschlagen hatte ihn der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen und Generalbevollmächtigte für die Regelung der Bauwirtschaft, Fritz Todt (1891-1942). Zugleich war dieser Leiter des Hauptamts für Technik der NSDAP und Reichswalter des Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Technik. In beiden Organisationen hatte sich auch Himmler seit 1936 engagiert und dort 1938 die „Hauptstelle für Berufsfragen“ und des „Reichsberufswalters“ übernommen. Sie hatten also schon eine Zeitlang zusammengearbeitet. Seiner auf Empfehlung Todts erfolgten Rekrutierung durch das Reichserziehungsministerium sollten weitere Karriereschritte folgen: Als der Leiter der Abteilung für berufliches Ausbildungswesen, Wilhelm Heering, 1944 in den Ruhestand trat, wurde Himmler sein Nachfolger und zum Ministerialdirigenten ernannt; er stand der Abteilung bis Kriegsende vor.

Zerstörung eines Schlagbaums am 1. September 1939 (nachgestellt) | Hans Söhnke, Bundesarchiv, Bild 183-51909-0003, CC-BY-SA 3.0

Mit Jahrgang 1912 und 1914 waren Wilfred von Oven und Kurt Frowein deutlich jünger als Himmler und erlebten den Ersten Weltkrieg als Kinder, nicht – wie dieser – als Frontsoldaten. Für ihre Aufgabe als Kriegsberichterstatter der Propagandakompanien konnten sie aber auf andere einschlägige Vorerfahrungen zurückgreifen. So waren nicht nur beide Absolventen der 1935 von Goebbels eingerichteten Reichspresseschule, sondern von Oven hatte bereits 1936 als Angehöriger der Legion Condor für den Berliner Scherl-Verlag über den Spanischen Bürgerkrieg berichtet. Frowein hatte zuvor unter anderem für die NS-Zeitung „Der Angriff“ gearbeitet.

Nach dem Polenfeldzug verfassten sie gemeinsam die noch 1939 veröffentlichte Propaganda- und Hetzschrift „Schluß mit Polen“, „kein Buch“, wie sie einleitend schrieben, „das aus ruhiger Schreibtischbetrachtung entstand. […] Die Verfasser haben den Polenkrieg mitgemacht.“ (S. 3) Die Schrift ist durchzogen von antipolnischen und antisemitischen Parolen sowie kriegstreiberischer Propaganda.

Mit ihrer Darstellung der von den Nationalsozialisten als „Bromberger Blutsonntag“ bezeichneten Ereignisse am 3./4. September 1939, als es in Bromberg zu gewalttätigen und tödlichen Übergriffen auf die deutsche Minderheit durch eine polnische Bürgerwehr kam, rechtfertigten sie beispielsweise die Vergeltungsaktionen der Deutschen, deren Brutalität sie zugleich beschönigten:

Buchumschlag: Kurt Frowein/Wilfred von Oven, Schluss mit Polen, Berlin 1939.

„Ob die […] erschossenen Polen schuldig oder unschuldig waren, ist eine Frage, die nicht beantwortet zu werden braucht. Ihr Tod war nötig, um zu verhindern, dass noch mehr deutsches Blut in dieser Stadt floß. […] Möglich, daß sich die Humanitätsapostel der westlichen Demokratien über das deutsche Durchgreifen in Bromberg die Mäuler zerrissen haben. Möglich, daß sie auf einmal ihr mitfühlendes Herz entdeckten, das sich nicht rührte, als Tausende von Deutschen abgeschlachtet wurden.“ (S. 64) Die genauen Opferzahlen sind bis heute umstritten. Man geht allerdings davon aus, dass durch die polnische Bürgerwehr ungefähr 400 Zivilisten ermordet wurden und mehrere Tausend Personen durch die Deutschen; ein NS-Sondergericht fällte zudem mehr als 200 Todesurteile. Die Zahlen von Frowein und von Oven sind bewusst propagandistisch verfälscht und für die polnische Seite im Unklaren gelassen, ihre Kommentierung verharmlost und rechtfertigt zugleich die brutale deutsche Besatzungspolitik. Folgt man ihren Ausführungen, waren sie in Bromberg selbst anwesend (S. 45).

Ins hetzerische Visier der beiden Verfasser geriet in einem eigenen Kapitel auch „der Jude“, dessen „Rassemerkmale“ „Schmutz und Verkommenheit“ seien (S. 93). Angesichts seines „Vernichtungsplan[s] gegen das nationalsozialistische Deutschland“ treffe er „auf den bis zum Letzten entschlossenen Abwehrwillen des Deutschen“: „Wir haben uns in Polen gewehrt gegen Juden und ihre oft ahnungslosen Werkzeuge. Wir wissen jetzt, wo der Gegner steht. Und werden ihn vernichten.“ (S. 93f.)

Frowein und von Oven wurden auch im Frankreichfeldzug eingesetzt. Dort profilierte sich Ersterer mit Berichten über schwarze französische Soldaten, die er als zu „Bestien“ abgerichtete „Urwaldneger“ beschrieb. 1940 erschien das von ihm verfasste Buch „Festung Frankreich fiel“. Mit seinen enthusiastischen und voll auf NS-Propagandalinie befindlichen Kriegsberichten war Frowein auch Reichspropagandaminister Goebbels aufgefallen. Im Sommer 1940 holte dieser ihn als Pressereferenten nach Berlin, um ihn bald darauf als persönlichen Referenten ins Ministerbüro zu übernehmen. Im Juni 1943 stieg Frowein dann zum Reichsfilmdramaturgen auf.

Auch von Oven wurde in das Ministerbüro des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) berufen: 1943 machte ihn Goebbels zu seinem persönlichen Pressereferenten; hierfür wurde er von seiner Propagandastaffel zur besonderen Verwendung des Oberkommandos des Heeres (OKH) abkommandiert und dem RMVP zur Dienstleistung zugewiesen. 1941 hatte von Oven eine weitere Publikation, die aus seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter hervorgegangen war, als Mitautor veröffentlicht: „Panzer am Balkan. Erlebnisbuch der Panzergruppe von Kleist“. Bis zum 22. April 1945, als Goebbels mit seiner Familie in den „Führer-Bunker“ zog und von Oven zum OKH nach Rendsburg schickte, fungierte dieser als persönlicher Pressereferent des Ministers. Wie sehr er sich mit seiner Aufgabe und seinem Vorgesetzten identifizierte, zeigen seine verschiedenen nach Kriegsende erschienenen Publikationen, insbesondere „Finale Furioso. Mit Goebbels bis zum Ende“ (1974) und „Wer war Goebbels? Biographie aus der Nähe“ (1987).

Während Gebhard Ludwig Himmler durch das Reichserziehungsministerium aufgrund von Beziehungen rekrutiert wurde, waren bei Kurt Frowein – und auch bei Wilfred von Oven ist dies zu vermuten – seine Kriegsverdienste ausschlaggebend. Diese waren freilich weniger militärischer Art, sondern lagen im Bereich der Kriegspropaganda, einer der Kernaufgaben des Reichspropagandaministeriums (spätestens) seit Kriegsbeginn am 1. September 1939.

 

 

Quellen und Literatur:

Frowein, Kurt: Festung Frankreich fiel, Berlin 1940.

Frowein, Kurt/Oven, Wilfred von: Schluß mit Polen, Berlin 1939.

Oven, Wilfred von: Finale Furioso. Mit Goebbels bis zum Ende, Tübingen 1979 (zuerst als: Mit Goebbels bis zum Ende, 2 Bde., Buenos Aires 1949/50).

Oven, Wilfred von: Wer war Goebbels? Biographie aus der Nähe, München/Berlin 1987.

Oven, Wilfred von/Hahn-Butry, Jürgen: Panzer am Balkan. Erlebnisbuch der Panzergruppe von Kleist, Berlin 1941.

Blumenberg, Hans-Christoph: Das Leben geht weiter. Der letzte Film des Dritten Reichs, Berlin 1993.

„Bromberger Blutsonntag“, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/bromberger-blutsonntag.html

Düsterberg, Rolf: Soldat und Kriegserlebnis. Deutsche militärische Erinnerungsliteratur (1945-1961) zum Zweiten Weltkrieg. Motive, Begriffe, Wertungen, Tübingen 2000, S. 256.

Himmler, Katrin: Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte, Frankfurt 2005.

Klee, Ernst: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt 2007, S. 168, 445f.

Moeller, Felix: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998, S. 129.

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