„Göring kommt. Das alte Ekel. Will General werden. Warum nicht gleich Feldmarshall [sic]. Göring hat nur Rosinen im Kopf. Er brüskiert alle Menschen durch sein pampiges Großmannstum“, notierte Joseph Goebbels am 23. August 1933 in sein Tagebuch.
Wenige Tage später, am 30. August 1933 erfolgte die Beförderung des Hauptmanns a.D. Hermann Göring zum General der Infanterie. Die Beförderung durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847 – 1934) sollte Göring als Reichsluftfahrtminister und oberster Befehlshaber der Luftwaffe die notwendige formale militärische Autorität im Reichsluftfahrtministerium verschaffen, denn mit der Besetzung der wichtigen Ämter des RLM mit vier Obersten des Heeres sah sich Göring im Dienstgrad eines Hauptmanns als oberster Weisungsbefugter nicht ausreichend legitimiert. Zugleich bedeutete seine Ernennung faktisch eine Gleichstellung der Luftstreitkräfte mit dem Heer und der Marine. Bemerkenswert daran war das Überspringen von fünf Rängen, ein bis dahin in der Geschichte der preußisch-deutschen Streitkräfte nicht vorgekommener Vorgang. So übersprang Göring die Dienstgrade eines Majors, Oberstleutnants, Obersts, Generalmajors und eines Generalleutnants.
Als Flieger und Geschwaderführer hatte für Göring der Erste Weltkrieg als Oberleutnant und aufgrund von 18 Luftsiegen mit der Verleihung des Ordens „pour le mérite“, der höchsten preußischen Tapferkeitsauszeichnung, geendet. 1920 folgte, als er aus der Reichswehr ausschied, die Ernennung zum Hauptmann.
Ende August 1933 trug Reichsluftfahrtminister Göring Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg seine Pläne zu einer „Reorganisation der Luftfahrt“ vor. Um diese Pläne umsetzen zu können, müsse er zum General gemacht werden, argumentierte er gegenüber Hindenburg. Dieser willigte nur widerwillig ein: „Na gut, dann sind Sie also der erste deutsche Fliegergeneral“, soll er geantwortet haben. Die Dienststellung des Generals, also die direkte Eingliederung in die Kommandostruktur, existierte zwar bei den Luftstreitkräften bereits, nicht aber der Dienstrang eines Generals. Hindenburg dachte mehr an eine formale Ernennung und ihm schwebte auch der unterste Generalsrang eines Generalmajors vor. Görings Sichtweise darauf war eine andere. Er ließ noch am selben Tag nicht seine Ernennung zum Generalmajor der Flieger, sondern zum General der Infanterie an die Zeitungen weiterreichen. Görings ursprüngliche Waffengattung im Ersten Weltkrieg war die der Infanterie gewesen, Görings Auffassung nach hatte ihn Hindenburg auch dementsprechend befördert.
Die Reichswehr war außer sich, dass ein ehemaliger Hauptmann direkt zum General aufsteigen sollte, Hindenburg fühlte sich ebenfalls brüskiert. Doch der Protest der Reichswehr und Hindenburgs bei Hitler war vergeblich. Görings Widersacher in der Armee, der Reichswehrminister Werner von Blomberg (1878 – 1946) musste sich damit begnügen, dass er neben der Beförderung Görings zum General, zum Generaloberst ernannt wurde, der als militärischer Dienstgrad über dem General stand.
Es war ein Vorgeschmack auf ein Beförderungsmuster, welches darauffolgend für großen Unmut in den anderen Heeresteilen sorgen sollte. Denn die besseren und schnelleren Beförderungsaussichten für Offiziere in der stetig wachsenden Luftwaffe im RLM ließen die Luftwaffenoffiziere in den Augen vieler Heeresoffiziere als Emporkömmlinge erscheinen. Exemplarisch ist Ernst Udet (1896 – 1941) zu nennen, welcher als Oberstleutnant seit 1935 im RLM tätig war und es binnen fünf Jahren zum General der Flieger schaffte. Im Gegensatz zum Heer oder der Marine konnte die im Aufbau befindliche Luftwaffe auf keine langjährige Tradition zurückblicken und auf kein umfangreiches Luftwaffen-Offizierskorps zurückgreifen. So wurden also ab 1933 Offiziere aus dem Heer und der Marine übernommen sowie ältere Jahrgänge der ehemaligen Luftwaffe aus dem Ersten Weltkrieg zurück in den Dienst berufen. Um möglichst schnelle eine funktionierende Kommandostruktur zu etablieren, waren die Beförderungsaussichten im Vergleich zu den anderen beiden Teilstreitkräften besser.
Nur mit Widerwillen erkannte das Heer die Luftwaffe als gleichgestellten Wehrmachtteil an. Als mit dem Erlass vom 26. Februar 1935 die Luftwaffe offiziell an die Öffentlichkeit trat, wurden die Dienstränge des Deutschen Luftsportverbands, welchen man in die Luftwaffe integrierte, durch militärische abgelöst. Dabei folgte man jedoch entgegen dem britischen Vorbild nicht der Bezeichnung „Luftmarschall“ für Generale, sondern es blieb bei den Generalsrängen des Heeres bis hin zum Generalfeldmarschall. Die Luftwaffe befürchtete andernfalls, vom Heer nicht anerkannt zu werden. So betrachtete das Heer auch die Luftwaffengeneralstabsoffiziere anfangs nicht als gleichrangig und sah im Luftwaffengeneralstab kein gleichberechtigtes Pendant.
Mit der Beförderung Görings zum General wurde das Verhältnis zur Reichswehr abermals belastet, vor allem, weil diese die Befehlshoheit über die Flieger verlor. Auf Görings Bitte erteilte Hitler der Reichswehr den Befehl, ihre Luftfahrtabteilungen an das RLM zu übergeben. Dennoch blieb das Reichsluftfahrtministerium militärisch dem Reichswehrministerium unterstellt und Göring war weiterhin gezwungen, für seine Kommandostäbe in großem Umfang auf Offiziere des Heeres zurückzugreifen, was dazu führte, dass seine Luftwaffe letztlich sehr eng an den Vorstellungen des Heeres ausgerichtet wurde. Durch die nachfolgenden innenpolitischen Erfolge Görings, seinen zunehmenden Machtzuwachs und die umfassenden finanziellen Mittel des Militäretats, welche allen Teilstreitkräften gleichermaßen zugutekamen, musste das Reichswehrministerium schlussendlich akzeptieren, dass sich die Kompetenzen der neuen Teilstreitkraft vollständig in den Händen des RLM befanden.
Am 29. August 1933 hielt Goebbels abermals fest: „[…] über Darré wird viel geklagt. Ebenso über Göring. Er ist nun endlich General. Wieviel Titel hat er eigentlich? Wahrscheinlich weil er Uniformen liebt. Das kotzt jeden an.“
Literatur:
Biermann, Kai/ Cielewicz, Erhard: Flugplatz Döberitz. Geburtsort der militärischen Luftfahrt in Deutschland, Berlin 2005.
Boog, Horst: Das Problem der Selbstständigkeit der Luftstreitkräfte in Deutschland 1908-1945, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 43 (1/1988), S. 31-61.
Kube, Alfred: Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 24), München 1986.