Obwohl die Luftwaffe und damit das RLM mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. und 9. Mai 1945 aufhörten zu existieren, lassen sich in der Nachkriegszeit Personalkontinuitäten aufzeigen. Trotz der Tatsache, dass das RLM die höchste Kommandostelle der Luftwaffe war, war das Ministerium eben auch die oberste Reichsbehörde für deutsche Zivilluftfahrt mit dem damit verbundenen Wetterdienst und dem Zivilluftschutz, drei Ressorts, welche in den Besatzungszonen bei den jeweiligen Besatzungsmächten und ab 1949 im Bonner Bundesverkehrsministerium (BVM) angesiedelt waren. Gerade anhand des Wetterdiensts lässt sich nachzeichnen, dass die Besatzungsmächte und darauffolgend die Bonner Republik auf die Expertise der ehemaligen Luftfahrtbeamten zurückgriffen.
Maßgeblich verantwortlich und prägend für den Reichswetterdienst, welcher dem RLM unterstand, waren Richard Habermehl (1890 – 1980) und Rudolf Benkendorff (1890 – 1973). Ihre Karrieren ähneln sich und lassen sich daher gemeinsam schildern. Beide entstammten evangelischen Beamtenfamilien, und studierten noch im wilhelminischen Kaiserreich Naturwissenschaften. Sie meldeten sich als Kriegsfreiwillige im Ersten Weltkrieg und schieden mehrfach ausgezeichnet im Rang eines Leutnants nach Kriegsende aus der Reichswehr aus. Schon während der Kriegszeit befassten sie sich mit wetterdienstlichen Fragen und der Wetteraufzeichnung. Habermehl trat nach seiner Promotion in die Beamtenlaufbahn ein und wurde Meteorologe im Reichswehrministerium. Benkendorff, bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs promoviert, trat als Meteorologe im Reichsverkehrsministerium in den Staatsdienst. Mit der Konstituierung des RLM und der Überführung aller wetterdienstlichen Strukturen in das Ministerium im Mai 1933 standen beide im Range eines Oberregierungsrats. Während Benkendorff zuerst in Luftkreis- und Luftflottenkommandos Wetterdienstabteilungen leitete, fand Habermehl 1933 direkt im Ministerium Verwendung. Die Belange des Reichswetterdiensts waren in der Abteilung III des Allgemeinen Amts angesiedelt. 1937 übernahm Habermehl die Leitung dieser Abteilung, ab 1939 als Präsident des Reichswetterdiensts im Range eines Ministerialdirigenten. Benkendorff wurde 1943 Chef des Wetterdiensts im Luftwaffenführungsstab beim Luftwaffenoberkommando des RLM. Im Jahr darauf folgte seine Beförderung zum Ministerialdirigenten. Beide vereinten damit die höchsten Ämter im Bereich des Wetterdiensts, wobei Habermehl sich für den zivilen Bereich verantwortlich zeichnete, während Benkendorff die militärischen Aufgaben des Wetterdiensts unterstellt waren. Habermehl trat der Partei noch im Mai 1933 bei, Benkendorffs Eintritt folgte im Mai 1937.
Die grundsätzliche Ausrichtung wird in den Laufbahnrichtlinien des Reichswetterdiensts deutlich, dort heißt es, der Reichswetterdienst „dient der Wehrmacht im Rahmen der Luftwaffe […]. Sie [die Kräfte des Reichswetterdiensts] sollen sich durch geistige und körperliche Frische auszeichnen, ihrer ganzen Persönlichkeit nach in den militärischen Rahmen der Luftwaffe hineinpassen und am politischen sowie kulturellen eben im Reich und in der Bewegung regen Anteil nehmen.“
Als Wehrmachtbeamte im Range eines Ministerialdirigenten führten beide den militärischen Charakter eines Generalmajors, standen also im Generalsrang und fielen unter die westalliierte Order des „automatic arrest“. Habermehl blieb bis Mai 1948 in britischer Kriegsgefangenschaft und wurde im Juli im Entnazifizierungsverfahren in der französischen Zone als „Mitläufer“ eingestuft. Benkendorff wurde 1947 aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen und im Januar 1948 im Revisionsverfahren in Hamburg in die Kategorie „entlastet“ eingeordnet. In seinem ersten Entnazifizierungsverfahren, welches ihn noch als „Mitläufer“ einstufte, wurde ihm zwar attestiert, dass er nicht als „Partei-Aktivist“ anzusehen sei, aber alle Voraussetzungen erfülle, um als „Militarist“ zu gelten. Eine Wiedereinstellung würde eine „Förderung anderer Nationalsozialisten oder Militaristen“ nach sich ziehen.
In seinem Revisionsverfahren ist davon nichts mehr zu lesen und entgegen der ursprünglichen Berufsbeschränkung wurde Benkendorff 1948 von der US-amerikanischen Besatzung zum Leiter des Wetterdiensts für Nordwestdeutschland ernannt (MANWD). Die französische Besatzungsmacht ernannte ihrerseits Habermehl im selben Jahr zum Leiter des Wetterdiensts in ihrer Zone (ab 1949 Leiter des Wetterdiensts Rheinland-Pfalz). Ob und inwiefern es die Besatzungsmächte sorgsam abwogen, ihren jeweiligen zonalen Wetterdienst ehemaligen Wehrmachtsgeneralen – welche als Militaristen beschuldigt wurden, Teil der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie gewesen zu sein – anzuvertrauen, muss schlussendlich offen blieben. Mit der offenkundigen Erfahrung der beiden in ihrem Ressort des im weitesten Sinne unpolitischen Wetterdiensts schien für die Besatzungsmächte die Rückführung beider keine Gefahr zu bergen, die hehren (west-)alliierten Ziele der Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung zu untergraben.
In der Besatzungszeit bildeten sich damit vier Zonenwetterdienste heraus, von denen die französische Einrichtung nochmals in drei Bereiche unterteilt wurde. Die französische Zone wurde in einen rheinländisch-pfälzischen Dienst mit Sitz in Neustadt/Weinstraße, einen badischen mit Sitz in Freiburg und in einen württembergisch-hohenzollerischen Wetterdienst mit Sitz in Tübingen untergliedert. Mit der Gründung der Bundesrepublik wuchs die Bestrebung, die (westlichen) Wetterdienste zusammenzuführen. Im Juli 1950 konstituierte sich der Verband Deutscher Meteorologen (VDM), der in Zusammenarbeit mit dem BVM die Gründung des Deutschen Wetterdiensts (DWD) vorantrieb.
Für ein Politikum sorgte die zukünftige Spitzengliederung des zu gründenden Deutschen Wetterdiensts mit vorläufigem Sitz in Bad Kissingen (ab 1957 in Offenbach). Obwohl das Vorschlagrecht für die Leitung und seines Stellvertreters beim Bundesverkehrsminister lag, wurden im Vorfeld von führenden deutschen Meteorologen Empfehlungen ausgesprochen. Ludwig Weickmann, der dem Wetterdienst in der US-Zone als Präsident vorstand und von der Gewerkschaft „Öffentliche Dienste, Transporte und Verkehr“ (ÖTV) selbst als Kandidat ins Spiel gebracht wurde, merkte in einem Schreiben an das BVM vom Februar 1952 an, dass eine „Berufung eines Vertreters des alten Diensts auch aus politischen Gründen nicht empfehlenswert“ sei. Weickmann selbst war 1935 der zweite Präsident (in kommissarischer Funktion) des neu gegründeten Reichsamts für Wetterdienst im RLM gewesen.
Die Gewerkschaft selbst wurde in Vertretung ihres Hauptvorstands Alexander Langhans im April 1952 gegenüber dem BVM noch deutlicher. Es sei im Interesse der Angehörigen des Wetterdiensts, solche Persönlichkeiten „scharf abzulehnen“, die nicht die „unbedingte Gewähr für eine soziale und demokratische Grundeinstellung“ böten. Ferner müsse er [der zukünftige Präsident] Gewähr dafür bieten, dass er die „vergangene, wesentlich autoritäre und militaristische Art der Menschführung“ hinter sich gelassen habe. Für Weickmann und die Gewerkschaft war klar, wen das BVM und der Verband in Betracht zogen. Benkendorff sollte Präsident werden und Habermehl sein Stellvertreter.
Im Oktober 1952 trat die Gewerkschaft an die Öffentlichkeit. Es „könnten nicht Personen in solche Stellen aufrücken, die bereits im früheren Reichswetterdienst im Stabe Görings die Führung innehatten und durch ihre besondere militärische Stellung im Range eines Generals bekannt geworden“ seien. Das Ansehen im Ausland würde durch die „nazistisch-militärische Vergangenheit“ eines zukünftigen Präsidenten „gemindert“. Nicht die Meinung des ehemaligen Generalstabs dürfe den Ausschlag geben, sondern rein wissenschaftliche Qualifikationen. Das Gerangel um den zukünftigen Präsidenten wurde unter den deutschen Meteorologen spöttisch als „Wetterleuchten um den Präsidenten“ mit größerem Interesse verfolgt. Nicht nur die Personalfrage stieß einigen Vertretern des Fachs auf, sondern auch die zukünftige Behördenstruktur des DWD. Weickmann sah im Gliederungsentwurf eine „Wiederrichtung von LB III“, also der Reichswetterdienstabteilung im Allgemeinen Amt (LB) des RLM. Werner Schwerdtfeger, welchem bis 1948 die Leitung des Wetterdiensts in Südbayern unterstellt war, empfand „eine Wiedererweckung der LB III Ära als sehr unglücklich.“
Im November verwies das BVM in einem Schreiben darauf, dass man mit der Gewerkschaft ÖTV eine Einigung erzielt habe, die beide Seiten zufrieden stelle. Unklar bleibt, wie diese Einigung aussah. Die Gewerkschaft gab ihren Widerstand gegenüber Benkendorff jedenfalls auf. Nicht ohne Verbitterung stellte Weickmann, nachdem er von dieser Übereinkunft Kenntnis erhalten hatte und damit seine Chance auf den Posten endgültig vom Tisch war, in einem Brief an einen Kollegen fest, dass ihn die Sache kalt lasse. Es bleibt zu konstatieren, dass es sich im Gezanke um den Präsidentenposten in erster Linie auf Eitelkeiten und der persönlichen Abneigung untereinander beruhte. Im Januar 1953 wurde Benkendorff zum ersten Präsidenten des DWD und Habermehl zu seinem Stellvertreter und Abteilungsleiter der neuen Zentralstelle in Bad Kissingen ernannt. Die prägenden Persönlichkeiten des ehemaligen Reichswetterdiensts standen nun an der Spitze der Nachfolgebehörde, des Bundeswetterdiensts. „Das Wetterleuchten“ war jedoch nur von kurzer Dauer. Habermehl trat im Februar 1954 in den Ruhestand und Benkendorff folgte im Oktober 1955.
Der ursprüngliche Entwurf der Binnenstruktur des neuen DWD, welcher offenkundig Parallelen zur Reichswetterdienstabteilung des RLM aufwies und das Protegieren der Personen Benkendorff und Habermahl stammten in erster Linie von Ministerialrat Georg Bell, dem Referatsleiter des Wetterdiensts im BVM. Georg Bell sollte als zweiter Präsident des DWD im November 1955 auf Benkendorff folgen. Bell war unter den deutschen Meteorologen kein Unbekannter, als ehemaliger Referent der Abteilung LB III kannte er seine Vorgänger nur zu gut.
Quellen
BArch Freiburg, PERS 6/146442; PERS 6/138717; PERS 6/138658; RL 6/76.
BArch Koblenz, B 253/6; B 253/19; B 253/28; PERS 101/66186.
LHA Koblenz, Bestand 860 P Personal 2415.
StA HH, 221-11 Ed 337; 731-8 A 752.
Sehr geehrter Herr Rieger,
ein sehr gelungener, stringenter Artikel, weil er die personellen Kontinuitäten zwischen NS- und BRD-Verwaltungen/-Ministerien so deutlich nachvollzieht! Wahrscheinlich kamen die Mitarbeiter des “neuen” BRD-Wetterdienstes ebenfalls aus der “alten” Zeit, so dass die Strukturen und Umgangsformen, die von der Gewerkschaft moniert werden, wohl kaum als wirkliches Argument gegen die beiden Generäle gelten konnten. Bei der schon einige Jahre zurückliegenden Erschließung unseres Aktenbestandes “Forschungs- und Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen” im Universitätsarchiv Stuttgart hatten wir schon beobachtet, dass auch im Bereich des Straßen- und Autobahnbaus sowohl im RVM, als auch in den Forschungseinrichtungen eine deutliche personelle Kontinuität zu beobachten ist. Eine andere Beobachtung betrifft das RLM: Hier kennen wir drei Architekten der TH Stuttgart, die in der Bauabteilung eine Nische fanden, wo sie sogar in modernem Stil für das RLM Gebäude einer Forschungsanstalt und Lazarette bauen konnten. Alle drei machten nach Ende des Krieges als Architekten der Moderne weiter Karriere. Ein weiterer Absolvent der TH Stuttgart, Adolf Butz, Mitglied einer Stuttgarter kommunistischen Widerstandsgruppe, konnte als Regierungsrat im Reichswetterdienst untertauchen und sogar an seinem Stationierungsort in Frankreich Kontakt mit der Resistance aufnehmen. Soweit die kleinen Erkenntnisschnipsel aus dem Umkreis der TH Stuttgart.
Beste Grüße
Norbert Becker
Universitätsarchiv Stuttgart