Ein Landesminister im Reichserziehungsministerium: Otto Wacker über seine Zeit als Leiter des Amts Wissenschaft 1937–1939

Im Alter von nur 40 Jahren verstarb im Februar 1940 der badische Minister des Kultus und Unterrichts Otto Wacker (1899–1940). Seine Frau Mercedes hielt einige Jahre später rückblickend fest: „Der frühe Tod meines Mannes trat durch heftige Auseinandersetzungen mit den zuständigen Berliner Stellen ein, da seine Pflichterfüllung oft im Widerspruch zu den ihm übergeordneten Dienststellen stand.“

Otto Wacker, 1932 (Der Führer, 1. November 1932).

Mit den Berliner Behörden hatte Wacker nicht nur zu tun gehabt, weil die Länderministerien den jeweiligen Reichsressorts unterstanden, sondern er war auch selbst dort tätig gewesen. Ende 1936 wurde er nämlich als Leiter des Amts Wissenschaft ins Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung berufen. Der vorherige Amtsinhaber Theodor Vahlen (1869–1945), Professor für Mathematik und „alter Kämpfer“, hatte sich aus dieser Position zurückgezogen, vermutlich, weil er sich aus Altersgründen den dort anfallenden Aufgaben letztlich nicht mehr gewachsen sah. Zunächst hatte Vahlens Stellvertreter, der Leiter der Hochschulabteilung Franz Bachér (1804–1987), die Amtsgeschäfte übernommen, im Januar 1937 wurde die Leitung dann Otto Wacker übergeben. Wie Vahlen war Wacker schon Mitte der 1920er Jahre der NSDAP beigetreten, seit 1929 war er SA-Mitglied, ab 1933 dann bei der SS.

Bereits 1935 war Wacker als Nachfolger von Staatssekretär Wilhelm Stuckart (1902–1953), der vom Reichserziehungsministerium ins Reichsinnenministerium wechselte, im Gespräch gewesen. Dann sollte die Stelle jedoch, offenbar auf Wunsch Hitlers, mit einem Verwaltungsjuristen besetzt werden, und Werner Zschintzsch (1888–1953) wurde als Staatssekretär des Ministeriums berufen. Das zweite im Herbst 1936 erfolgende Angebot – auf der Stelle eines Ministerialdirektors die Nachfolge Vahlens anzutreten – lehnte wiederum Wacker ab. Als Ministerialdirektor wäre er dem Staatssekretär unterstellt gewesen, wegen seiner „vorwiegend politisch gedachten Aufgabe“ hielt er aber die unmittelbare Unterstellung unter den Reichsminister Bernhard Rust (1883–1945) für „wünschenswert“. Obwohl ihm diese nicht zugesagt wurde und auch der von ihm geforderte „politische Sonderauftrag“ nicht offiziell ausgesprochen wurde, sondern Wacker nur das Recht zum persönlichen Vortrag beim Minister erhielt, ließ er sich im Dezember 1936 „vertretungsweise mit der Führung des Amtes Wissenschaft“ beauftragen – „unter gleichzeitiger Beibehaltung der Führung des Badischen Ministeriums des Kultus und Unterrichts“. Sein Status auf Reichsebene blieb allerdings ungeklärt.

Trotzdem trat Wacker die Amtsleitung in Berlin mit großen Ambitionen an – weshalb, lässt sich einem Bericht entnehmen, der von ihm selbst vermutlich 1939 verfasst wurde und im Generallandesarchiv Karlsruhe überliefert ist (GLAK N Wacker, Otto Nr. 1 [pdf]). Auf 51 Seiten erläuterte Wacker darin unter der Überschrift „Zusammenstellung über meine Einberufung, das Dienstverhältnis und mein Ausscheiden aus dem Reichserziehungsministerium“ die Gründe sowohl für seinen Eintritt in das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1936/37 als auch für seinen Austritt im Jahr 1939. Dabei nimmt auch die Schilderung von Problemen in der Zusammenarbeit mit Rust und Zschintzsch breiten Raum ein.

Motiviert zu seinem Engagement auf Reichsebene hatten Wacker laut eigener Aussage vor allem Missstände in der Hochschulpolitik des Reichs und das schlechte Verhältnis des Ministeriums zur Partei. Aus seinen Erfahrungen als Länderminister sei ihm bekannt gewesen, „daß die Zentrale in Berlin nicht gut arbeitete“. Von der „Mißstimmung, die in der Hochschullehrerschaft zum Teil sehr berechtigt herrschte und die allmählich die Form einer Depression angenommen hatte über das offen im Lande besprochene Versagen der […] Dienststelle [des Amts Wissenschaft]“, habe er gewusst, ebenso wie von den Auseinandersetzungen des Amts mit den Parteiinstitutionen. Das Verhältnis des Ministeriums wie auch des Ministers Rust zur Partei „war im Ganzen genommen nicht glücklich, größtenteils schlecht“. Von vornherein sei bei Wacker daher der „Wille […], Übel abzustellen“ und „ein gutes Verhältnis zur Partei zu gewinnen“, gegeben gewesen: „Ich wollte nicht Gefahr laufen, in einen Kurs hineinzugeraten, der mit der NSDAP. überhaupt keine Fühlung mehr hat.“

Titelseite des Berichts von Otto Wacker, ca. 1939 (GLAK N Wacker, Otto Nr. 1)

Mit den Initiativen, die Wacker hochschul- und forschungspolitisch als Leiter des Amts Wissenschaft versuchte durchzusetzen, konnte er jedoch kaum reüssieren. Zu Reichserziehungsminister Rust, dem er eine ausgeprägte Passivität, Lethargie und mangelnde Entschlussfreudigkeit bescheinigte, drang er so gut wie nicht durch. Wackers Ideen wie etwa die Ausrichtung eines „Tags der Wissenschaft“ im Sommer 1938 in Wien aus Anlass der „Rückkehr der deutschen Hochschulen der Ostmark in das Reich“ verliefen im Sande. Ein Schreiben vom November 1938, in dem er Rust Probleme seiner Arbeit schilderte, führte zu einer Auseinandersetzung, die beinahe eine dienstliche Vernehmung zur Folge gehabt hätte. Zwar hatte Wacker in seinem Brief, wie er im Nachhinein festhielt, „das unmögliche Arbeitsverhältnis zwischen Minister und Amtschef mit Rücksicht auf den Herrn Reichsminister nicht angeschnitten“; dieses stand aber freilich im Hintergrund seiner Beschwerden – und Rust fühlte sich beleidigt. In einer klärenden Aussprache drang der Amtsleiter erneut auf eine starke Verbindung zur NSDAP: „Da wir uns im Kultursektor fast gänzlich auf einer weltanschaulichen Basis bewegen, wäre eine Arbeit ohne die engste Verbindung zu Parteidienststellen unmöglich oder mindestens erfolglos.“ Es gelang ihm jedoch nicht, Rust zu einer stärkeren „Aufnahme der Fühlung zum Führer selbst in den entscheidenden Fragen oder zu Herrn Reichsminister Heß als dem zuständigen Parteiminister“ zu bewegen – wohl wegen der „kontemplative[n] Natur des Herrn Reichsministers und vielleicht auch ein[em] gewisse[n] Gefühl der Unsicherheit“, das Wacker bei Rust ausmachte, der sich über die aufgeworfenen Fragen zum Teil einfach ausgeschwiegen habe.

Auch die Statusfrage klärte sich für Wacker nicht. Staatssekretär Zschintzsch sei „sehr darauf bedacht gewesen“, die Stellung des Amtsleiters Wissenschaft „nicht allzu stark werden zu lassen“, und habe gedroht, sein Amt niederzulegen, falls dieser eine Vertretungszeichnungsbefugnis, wie er sie sich wünschte, bekomme. Ohne diese Befugnis, die Wacker gestattet hätte, in Vertretung des Reichsministers abschließend zu zeichnen, wollte dieser sich jedoch nicht auf die mittlerweile vorgeschlagene Unterstaatssekretärstelle, die eigens für ihn im Ministerium geschaffen werden sollte, einlassen. Denn unter diesen Bedingungen, die ihn an die „passive Natur“ Rusts gebunden hätten, wäre, so Wacker in seinem Bericht, „ein Einbau in das Reichserziehungsministerium gleichbedeutend mit dem politischen Abtreten“ gewesen. Da er – und auch Heß – seinen Auftrag als einen politischen verstanden, Wacker aber in seiner aktuellen wie in der zugedachten Position keine Möglichkeiten sah, gestaltend zu wirken, ging er zum 1. Mai 1939 ganz nach Karlsruhe zurück. Es sei ihm seiner „Natur und […] Veranlagung nach unmöglich“ gewesen, sich in eine „Dauerresignation“ zu begeben, „wie sie typisch ist für viele Beamte des Reichserziehungsministeriums“. Lieber übte er sein Amt als Minister des Kultus und Unterrichts in Baden nun wieder voll aus und verfolgte von dort seine bildungs- und wissenschaftspolitischen Ziele. Nachfolger Wackers in Berlin wurde übrigens Rudolf Mentzel (1900-1987), der 1934 als Referent in die für Heeresforschung zuständige Abteilung W II des Amts Wissenschaft berufen worden war und seit November 1936 als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) fungierte. Er trat die Amtsleitung als Ministerialdirektor an.

Welche Motive hinter der Berufung des Landesministers in das Reichserziehungsministerium ursprünglich standen, ist bislang unklar. Es wurde auch spekuliert, der Reichsführer SS Heinrich Himmler habe mit Wacker einen Vertrauensmann im Ministerium installieren wollen, der vielleicht auch zum Nachfolger Rusts aufgebaut werden sollte. Dennoch sind die Vorgänge, die in dem hier in Auszügen wiedergegebenen Bericht geschildert werden, aufschlussreich – auch für die Berufungspraxis des Reichserziehungsministeriums. Denn das „Wie“ scheint in diesem Fall erhebliche Schwierigkeiten gemacht zu haben, so dass die Rekrutierung Wackers bereits nach zwei Jahren wieder hinfällig war.

 

Quellen:

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK) N Wacker, Otto Nr. 1 [pdf]

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Freiburg (StAF) D 180/7 Nr. 113

Literatur:

Nagel, Anne C.: Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt 2012, S. 228–295.

Engehausen, Frank: Das badische Ministerium des Kultus und Unterrichts, in: Ders./Paletschek, Sylvia/Pyta, Wolfram (Hrsg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus (im Erscheinen).

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