Unter großer Anteilnahme wurde am 19. Januar 1944 der Luftwaffenkommandeur Peter Habicht auf dem Friedhof des Offenbacher Stadtteils Bieber beigesetzt. Die Wehrmacht bezeugte ihren Respekt durch die Salutschüsse einer Ehrenformation. Habichts Ende war weitaus weniger stilvoll gewesen. Er und sein Fliegerkamerad Helmut Busch starben im Kugelhagel eines amerikanischen Jagdpiloten, als sie den aussichtslosen Versuch unternahmen, die Stadt Oschersleben und das dortige Flugzeugwerk vor der Zerstörung durch die 1. US-Bomberdivision zu bewahren. Mit vollen Tanks schlug Habichts Maschine auf einem Acker auf. Der anschließende Brand entstellte seinen Leichnam derart stark, dass es den Hinterbliebenen verwehrt blieb, von ihm Abschied zu nehmen. In ihrer Traueranzeige hielt seine Familie für die Nachwelt fest: „Das Flugwesen und sein Ausbau war sein Lebensinhalt.“ Aufstieg und Fall von Görings Luftwaffe waren in der Tat die Wendepunkte in Habichts Existenz. Es war von einer ebenso tragischen wie historischen Logik, dass sein Lebensende mit dem Scheitern einer Streitmacht verknüpft war, an deren Aufbau er mit voller Überzeugung mitgewirkt hatte.
Habichts Interesse am Fliegen wurde schon vor 1933 geweckt: Ab Mitte der 1920er Jahre verfolgte die Berliner Regierung das Ziel, die deutsche Jugend für den Segelflugsport zu begeistern. Auf ministerielle Anordnung hin wurde das Thema in Schulen und Universitäten behandelt; gleichzeitig förderten die Behörden bürgerliche Initiativen zur Gründung von Flugsportvereinen. Um Sport ging es nicht allein: Die Reichsbehörden planten, das 1926 geschlossene Pariser Luftfahrtabkommen zu unterlaufen, in dem man sich verpflichtet hatte, die Sportfliegerei nicht mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs hatten dies durchgesetzt, weil sie befürchteten, Deutschland werde sich unter dem Deckmantel des Luftsports eine fliegerische Personalreserve verschaffen, die militärisch zu nutzen sei. Die Reichsregierung propagierte daraufhin den Segelflug, um geeignete Kandidaten für ihr geheimes Ausbildungsprogramm in der UdSSR zu generieren.
Habicht passte gut in das Anforderungsprofil: Der Sohn eines sozialdemokratischen Arbeiters aus Bieber bei Offenbach/Main war Feinmechaniker und Absolvent einer Fachschule für Maschinenbau und Elektrotechnik. Dort kam der 18jährige 1929 mit dem Modellsegelflugzeugbau in Kontakt. 1932 besuchte er den 13. Segelflugwettbewerb auf der Rhön und wurde umgehend Mitglied in der 1928 gegründeten Flugsportvereinigung Offenbach. Seine Chancen auf eine Fliegerkarriere standen wegen der anhaltenden Weltwirtschaftskrise jedoch schlecht. Habicht hatte bereits Ende 1930 seine Stelle verloren und war ebenso perspektiv- wie mittellos. Dies änderte sich erst im Zuge der NS-Aufrüstung.
Im April 1933 übernahm Lufthansa-Vorstand Erhard Milch den Posten des Staatssekretärs in Görings neu gegründetem Reichsluftfahrtministerium (RLM). Milch sorgte umgehend für die Gründung des Deutschen Luftsport-Verbands (DLV) als eingetragener Verein. Präsident wurde Bruno Loerzer, ein Duz-Freund und Waffengefährte Görings im Ersten Weltkrieg. Die bisherigen Luftsportverbände hatten sich aufzulösen und ihre Mitgliedsvereine in den DLV einzubringen. Dessen Aufgabe bestand darin, ein sportliches Gesicht nach außen zu zeigen, um die fortan massiv betriebene Luftaufrüstung gegenüber dem Ausland zu tarnen. Zur Ausbildung des Luftwaffennachwuchses errichtete der DLV zahlreiche Übungsstellen und Fliegerschulen, die wegen des Mangels an militärischen Ausbildern mit zivilangestellten Fluglehrern besetzt werden mussten.
Habicht begriff rasch die Zeichen der Zeit: Im Mai 1933 gründete er einen DLV-Fliegerstützpunkt in Bieber. Zusammen mit Jugendfreunden baute er Segelflugzeuge und bildete HJ-Mitglieder im Fliegen aus. Als Voraussetzung dazu erwarb er im Herbst 1933 auf der Wasserkuppe den A- und den B-Schein im Segelflug. 1934 durchlief er eine Führerschulung in der SA-Sportschule Hanau II. Das Engagement zahlte sich aus: Im Juli 1934 erhielt Habicht einen Arbeitsplatz bei der von Walter Georgii geleiteten Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug. Wohl dank der dort geknüpften Kontakte wurde er im November 1935 von der DLV-Fliegerübungsstelle Darmstadt einberufen und zum Flugzeugführer ausgebildet. Ab 1936 war er dann als angestellter Fluglehrer des RLM in Darmstadt tätig. Im März 1937 erfolgte seine Versetzung an die Fliegerübungsstelle Lachen-Speyerdorf (Pfalz), die bald darauf von der Luftwaffe übernommen, als Flugzeugführerschule weitergeführt und im April 1939 in das neu gebildete Fliegerausbildungsregiment 53 mit Sitz in Straubing integriert wurde.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagierte sich Habicht im Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK), dem Rechtsnachfolger des 1937 aufgelösten DLV. Das am 17. April 1937 gegründete NSFK wurde von Generalmajor Friedrich Christiansen geleitet, der zuvor Ministerialrat im RLM und ab 1936 Kommandant aller Fliegerschulen der Luftwaffe gewesen war. Außerhalb des militärischen Bereichs verfügte das NSFK über eine allumfassende Zuständigkeit in Sachen Fliegerei: Mit Hilfe spektakulärer Flugschauen begeisterte es Jugendliche für das Fliegen (Propaganda) und bildete sie im Modellbau, im Segel- und im Motorflug aus (vormilitärische Ausbildung und Eignungsprüfung für die Luftwaffe). Außerdem besaß das NSFK das Monopol im Luftsport, weshalb niemand an ihm vorbeikam, der sich auf diesem Gebiet betätigen wollte.
Habichts Leidenschaft galt dem Segelflug. Als Sturmführer in der NSFK-Standarte 81 (Neustadt a. d. Weinstraße) leitete er die Segelflugausbildung in Lachen-Speyerdorf; zugleich war er Referent für Segelflug im Gau Saarpfalz. 1937/38 wirkte er als Mitglied der Kunstflugkette der NSFK-Gruppe 16 (Südwest) bei öffentlichen Flugtagen mit. Seinen größten Erfolg feierte er 1938, als er mit der Stabsstaffel der NSFK-Gruppe 16 beim weltgrößten Ereignis dieser Art, dem Deutschlandflug, den vierten Platz erzielte, was ihm und seinen Kameraden eine Einladung in die privaten Räume von Gauleiter Josef Bürckel eintrug. Habichts Engagement beim NSFK wirkte sich vorteilhaft auf seine sportlichen Möglichkeiten aus: Als Korpsmitglied erhielt er Zugriff auf Hochleistungssegelflugzeuge, mit denen er 1938 und 1939 an den Segelflugwettbewerben auf der Rhön teilnehmen konnte. Damit gehörte er zum Kreis der besten Segelflieger. Seine Berichte wurden in Peter Riedels Standardwerk über die Geschichte der Rhönwettbewerbe noch Jahrzehnte später zitiert.
Mit Kriegsbeginn erhielt Habichts Karriere einen weiteren Schub. 1940 absolvierte er in Königsberg einen Offizierslehrgang. Seine Beurteilungen waren gut: Im April 1941 urteilte seine Dienststelle in Jena: „Aufrechter und einwandfreier Charakter. Im Wesen frisch, lebhaft und aufgeschlossen. Eine zähe und harte Natur. Körperlich gut veranlagt. Ausgesprochener Draufgänger. Ein straffer Soldat mit guter Eigeninitiative, der sich in allen Lagen zurechtfinden wird. […] Ein passionierter Flugzeugführer mit fliegerisch und theoretisch überdurchschnittlichen Leistungen, der sich als Gruppenfluglehrer stets bewährt hat u[nd] seinen Flugschülern stets das beste Beispiel für Einsatzfreudigkeit u[nd] Umsicht gab. Im Kameradenkreis sehr beliebt. Positiv zur nationalsozialistischen Weltanschauung eingestellt.“ Verbunden mit dieser Beurteilung war der Verwendungsvorschlag: „Zerstörerschule und Abgabe an die Front. Später vielleicht als Staffelkapitän geeignet.“
So kam es: Habicht versah von Herbst 1941 bis Herbst 1943 Dienst beim Zerstörergeschwader 26 im Mittelmeerraum. Als Flugzeugführer und Staffelkapitän sicherte er den Nachschub für das Deutsche Afrikakorps und unterstützte es beim Erdkampf. In seiner Familie heißt es, er habe sich mit Rommel geduzt. Die prekär gewordene Luftlage über dem Deutschen Reich führte im Herbst 1943 zum Abzug der Zerstörerverbände aus Südeuropa. Stattdessen wurden sie zur Bekämpfung US-amerikanischer Bomberströme eingesetzt. Habicht übernahm nun die Funktion eines Kommandeurs der Ergänzungs-Zerstörergruppe Braunschweig. Die Abschusserfolge der Jäger blieben bescheiden. Hermann Göring sah den Grund dafür nicht in der massiven Unterzahl deutscher Jagdflugzeuge, sondern in der angeblichen Feigheit ihrer Piloten. Im Herbst 1943 befahl er den deutschen Jagdfliegern, angreifende US-Begleitjäger zu ignorieren und sich auf die Bomber zu konzentrieren, denn „um die Verluste der Jäger kümmert sich das deutsche Volk einen Dreck.“ Dass dies die innere Haltung seines eigenen Oberbefehlshabers war, muss nicht nur Habicht gespürt haben. Die Ernüchterung der einst mit Verheißungen auf eine leuchtende Zukunft von Göring umworbenen Flieger schlug sich auch in den Gesprächen nieder, die Habicht mit seiner Familie während seines letzten Heimaturlaubs führte. An dessen Ende verabschiedete er sich von allen Freunden. Er hinterließ seine Ehefrau und zwei Töchter im Alter von 3 Jahren bzw. vier Wochen.
Quellen
BArch PERS 6/242366.
Nachlass Peter Habicht, Familienarchiv Seidelmann.
Literatur
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Cordts, Georg; Junge Adler, Esslingen/München 1988.
Fritzsche, Peter: „Airmindedness“ – Der Luftfahrtkult der Deutschen zwischen der Weimarer Republik und dem Dritten Reich, in: Helmuth Trischler und Kai-Uwe Schrogl (Hg.), Ein Jahrhundert im Flug, Frankfurt/New York 2007.
Göller, Andreas; Holtmann, Annegret: Ein Jahrhundert Luftfahrtgeschichte zwischen Tradition, Forschung und Landschaftspflege, Darmstadt 2008.
Kehrberg, Arno: Das NS-Fliegerkorps, Berlin 1942.
Poeschel, Johannes (Hg.): Ins Reich der Lüfte, Leipzig 1928.
Riedel, Peter: Erlebte Rhöngeschichte, 3 Bände, Stuttgart 1986, 1988, 1990.
Riedel, Peter: German Air Attaché, Shrewsbury 1997.
Autor
Wolf-Ingo Seidelmann, Volkswirt und Historiker, 1982-1986 Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Agrargeschichte der Universität Hohenheim, anschließend in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung tätig, zuletzt Hauptgeschäftsführer einer deutschen IHK, zahlreiche Publikationen zur Verkehrs- und Wirtschaftsgeschichte. Der Autor ist mit Peter Habichts jüngster Tochter Sigrid verheiratet.