“Deutsche Wiedergeburt” durch einen “Chor der Rache”. Die Luftfahrt und der Nationalsozialismus

Neben der unverkennbaren Handschrift der Parteipolitik der NSDAP bei der Einrichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung, sowie des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, erfüllte auch die Gründung des Reichsluftfahrtministeriums zentrale ideologische Bestandteile des Nationalsozialismus.

Im Nationalsozialismus wie auch im italienischen Faschismus manifestierten sich in der Aviatik der technologische Fortschrittswillen und der Geist des Aufbruchs in eine neue Ordnung. Die Ideologien trieben mittels der Luftfahrt die vollständige Militarisierung der Gesellschaft voran.

Als die deutsche Luftwaffe ihren Tarnmantel im März 1935 ablegte und als dritter Wehrmachtteil an die Öffentlichkeit trat, erinnerte sich Alfred Rosenberg in seinem Tagebuch: „An diesem Tag empfanden wir erst so ganz die Tatsache der deutschen Wiedergeburt und den Beginn der staatlichen Wiederherstellung der deutschen Ehre.“ Ähnliche Hoffnungen verband man auch in Italien mit der Aviatik, so schrieb im gleichen Jahr Cristoforo Mercati: „Der ikarische Instinkt, der menschliche Fluginstinkt […] hat sich in keinem Geschlecht so gründlich, mit so viel Kraft und Leidenschaft ausgebreitet wie in unserem. Der Wille des römischen Adlers, der auf der ganzen Erde dem gleichmäßigen Marsch der Legionäre vorausging, scheint in unseren jungen Stürmern wiedergeboren zu werden.“

Aus der dem italienischen Faschismus und der Aviatik nahestehenden Kunstrichtung des Futurismus entstanden zahlreiche Werke, welche propagandistisch genutzt wurden. Tullio Cralis: Im Sturz auf die Stadt, 1939 | (CC BY-NC-SA 2.0)

Die fatalistischen Begriffe wie Untergang und Wiedergeburt, mit welchen der technologische Fortschritt beschrieben wurde, wurden ein Kennzeichen des Nationalsozialismus. Besonders in Deutschland sah man das Wagnis des Luftzeitalters als Möglichkeit, die durch die Umbrüche des verlorenen Ersten Weltkriegs ‚gebeutelte Nation‘ zu erneuern. Die Luftfahrt schien eine neue Logik der internationalen Beziehungen einzuleiten und ermöglichte die Neudefinierung der deutschen Rolle in der Welt. Die Aviatik entwickelte sich zu einer Metapher des Faschismus selbst (Fernando Esposito). Flugzeuge sollten den konventionellen Anspruch der Souveränität umstoßen und, so Hans Richter 1927, neue „pfeilgerade schwarze Linien durch das bunte Sammelsurium der europäischen politischen Karte“ zeichnen. Der Flieger veranschaulichte dabei die grundlegende Verkörperung des neuen technologischen Zeitalters. So wurden die Piloten und Flugzeuge zu einem evokativen Symbol der ‚nationalen Wiedergeburt‘. Die Luftfahrt stand für eine Verheißung, für eine glorreiche Zukunft. Der Flieger galt bald als neuer Typus ‚Mensch‘ und wurde als eine Religion‘ der Beschleunigung und des Fortschritts mythisiert. Maschinen waren kein „totes Eisen“, sondern wurden zu „Organen der Macht“ erhoben, schrieb Ernst Jünger 1928. Der maschinelle Krieg und die ideologische Indoktrinierung bedingten einander, Ingenieure und Ideologen gingen dabei Hand in Hand.

Fliegen, schrieb Mussolini 1919, sei die „erste Kühnheit des Menschen“ gewesen, als „Ikarus dem Himmel ein wenig Ruhm stahl.“ Es bestünde ein „notwendiger, inniger und geistiger Nexus“ zwischen der Aviatik und dem Faschismus, so Guido Mattioli, ein Biograph Mussolinis: „Jeder Flieger wäre ein geborener Faschist. Als er das erste Mal den Steuerknüppel eines Flugzeuges übernahm, muss Mussolini den Willen zu lenken körperlich erfahren haben.“ Auch für Hermann Göring war klar: „Jeder richtige deutsche Junge will Flieger werden.“ Für den faschistischen Propagandisten Luigi Contini waren Faschismus und Luftfahrt „Indikatoren des Willens“: „Die Luftfahrt ist nicht nur Ausdruck einer materiellen Macht. Es ist gesagt worden, die Luftwaffe sei die faschistische Waffe par excellence […]. Wie der Faschismus ist die sich entwickelnde Luftwaffe ein Zeichen der Vitalität. Wer sich nicht ausbreitet, wer anhält, ergibt sich und verfällt. Die Luftfahrt ist die Waffe, die sich am meisten mit der Rasse identifiziert.“ Nello Quilici brachte in seinem 1934 veröffentlichten Buch ‚Aviatoria‘ zum Ausdruck: „Man kann nicht Faschist sein, ohne sich ein wenig wie ein Flieger zu fühlen, man kann nicht Flieger sein, ohne sich [als] Faschist zu fühlen.“ Die Kriegserfahrungen des deutschen Weltkriegspiloten Otfried Fuchs aus dem Jahr 1918 sollten als mahnende Worte in Erinnerung bleiben: „Ich starb als Mensch, seitdem ich Flieger wurde.“

Für Göring gab es spätestens seit seiner Italienreise im Jahr 1931 ein großes Vorbild: Italo Balbo. Mit dem italienischen Luftfahrtminister Balbo verband Göring frühzeitig eine enge Freundschaft, die er in Deutschland propagandistisch zu nutzen verstand. Im Dezember desselben Jahres war Balbo einer Einladung Görings nach Berlin gefolgt, wobei er auch Görings Forderungen nach der Einrichtung eines Reichsluftfahrtministeriums nach italienischem Vorbild unterstützte.

Der Adler (Heft 16, 19. September 1939)

Die deutsche Propaganda verband die Luftfahrt ebenfalls mit dem ‘Wesen des Führers‘. Peter Supf schrieb 1939 in der vom RLM herausgegeben Zeitschrift ‚Der Adler‘: „Es ist der fanatische Glaube, aus der sie [die Verbindung] geboren wurde. Es ist der heroische Geist, der sie zur Tat machte. Es ist die Weite des Blickes, der ihr eigen ist. […] Fluggeist bedingt ein anderes Denken und Fühlen. […] Der fliegerische Geist aber ist zum Genius unseres Volkes geworden, ist der Geist der Flugzeit, unserer Zeit. Es ist der Geist, der in Adolf Hitler wirkt und seinem gewaltigen Werk.“ Bereits Leni Riefenstahls Propagandafilm ‚Triumph des Willens‘ von 1935 griff dies auf, in welchem Hitler in der Eingangssequenz nach Nürnberg geflogen wird und, so suggerieren es die Bilder, symbolträchtig inszeniert, als ein von Himmel gesandter Erlöser vom Volk frenetisch empfangen wird.

Eine Luftwaffe als eigenständige Teilstreitkraft, ja auch die Gründung eines Luftfahrtministeriums, war keine singuläre Entwicklung, welche ausschließlich im NS-Staat vonstattenging. Als erster Staat in Europa verfügte Großbritannien über ein ‚Air Ministry‘ und eine unabhängige Royal Air Force (1918). Aber auch andere europäische Staaten waren Deutschland, welchem aufgrund der Vertragsbestimmungen von Versailles Luftstreitkräfte verboten waren, voraus: Italien brachte 1923 die Eigenständigkeit der Regia Aeronautica‘ auf den Weg und etablierte 1925 ein ‚Ministero dell‘Aeronautica‘. Frankreich zog 1928 mit dem ‚Ministère de l’Air‘ nach und gliederte 1934 seine ‚Armée de l’Air‘ aus. Die Rote Armee der Sowjetunion gründete 1932 eine eigenständige Luftwaffe. Allerdings vollzogen nicht alle militärischen Großmächte diesen Schritt. Die USA gründeten zwar 1939 das ‚Civil Aeronautics Board‘, die Behörde konnte aber aufgrund ihrer eingeschränkten Befugnisse nicht als Äquivalent eines Luftfahrtministeriums gelten. Ferner entwickelte sich die U.S. Army Air Force erst 1947 zu einer eigenständigen Teilstreitkraft. Im kaiserlichen Japan blieben die Luftstreitkräfte dem Heer angegliedert.

Die vom Reichsluftschutzbund mitherausgegebene Zeitschrift ‘Die Sirene’ (Ausgabe 4 – Februar 1939)

Dass der NS-Staat eine vollständige Militarisierung der Aviatik vorantrieb, wurde Winston Churchill unmittelbar nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten bewusst. „Die unglückliche Erfindung des Verbrennungsmotors“ und die „Kunst des Fliegens“ gebe einer dafür „unreifen Zivilisation“ eine neue Waffe in die Hand, welche damit im Stande sei, „das relative Stärkeverhältnis der einzelnen Mächte viel rascher umzuwandeln“. Churchill malte 1934 ein düsteres Bild der Zukunft: „Dieses hochbegabte Volk mit seiner Wissenschaft und Industrie und mit dem, was die Deutschen ‚Luftsport‘ nennen“, sei bald in der Lage, die „mächtigste Luftwaffe für alle Zwecke […] aufzubauen.“ Für Frankreich und Großbritannien wurde schon bei einem Ministertreffen in Paris Anfang März 1933 offensichtlich, was der NS-Staat mit dem Reichsluftfahrtministerium verfolgte: Der einzige Zweck dieser Behörde sollte der Aufbau einer Luftwaffe für einen kommenden Krieg sein, eine Luftwaffe, welche, „wenn die Stunde schlagen sollte, wie ein Chor der Rache über den Gegner hereinbricht“, so 1934 der Luftfahrtminister Hermann Göring.

Die industrielle und technologische Revolution des NS-Staats ging in einem Bereich vonstatten, dessen Ausmaße 1933 noch unbedeutend gewesen waren. Im Jahr 1932 waren 3200 Personen in der deutschen Flugzeugindustrie beschäftigt gewesen, ihre Kapazität belief sich auf gerade einmal ein paar hundert Flugzeuge pro Jahr. Knapp zehn Jahre später hatte das Regime unter der strikten Überwachung des Reichsluftfahrtministeriums mit dem Flugzeug- und Flugzeugmotorenbau eine Multimilliarden-Industrie mit mindestens einer Viertelmillion Beschäftigten ins Leben gerufen, die in der Lage war, jährlich über 10.000 der fortschrittlichsten Kampfflugzeuge der Welt herzustellen.

Der technologische Fortschritt in der Entwicklung der militärischen wie zivilen Luftfahrt wurde auch von warnenden Stimmen begleitet. Victor Hugo sagte zwar noch 1856 voraus, dass die Luftschiffe der Zukunft eine Ära des sozialen Friedens und weltweiten Wohlstand einleiten würden. Der Engländer Herbert George Wells sah 1920 allerdings eine düstere Zukunft voraus: Die Bomben aus den Jahren 1914 – 1918 seien im Vergleich zu den Waffen eines kommenden Luftkriegs wie „Kinderspielzeug“. „Endlose Wellen von Flugzeugen“ sowie „gewaltige und widerliche Bomben“ stünden jeder Stadtbevölkerung bevor. 1935 ging Wells in seinem Roman ‚Things to Come‘ noch weiter, indem er prophezeite, dass ein kommender Luftkrieg die Zivilisation auslöschen werde. Zumindest mit dem schieren Ausmaß des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg sollte er Recht behalten.

 

Literatur und Quellen:

Fernando: Mythische Moderne. Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien. München 2011.

Fritzsche, Peter: Machine Dreams. Airmindedness and the Reinvention of Germany, in: The American Historical Review, Vol. 98. No 3 (Jun., 1993), S. 685 – 709.

Liggieri, Kevin: “Ich starb als Mensch, seitdem ich Flieger wurde”. Zur literarischen Annexion und Akzeptanz technischer Artefakte am Beispiel des Fliegers, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaften und Linguistik, 45 Jg., 179 (2015), S. 79 – 95.

Saint-Exupéry, de Antoine: Flug nach Arras. Boppard am Rhein 1949.

Siegfried, Detlef: Der Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 – 1934. Bonn 2001.

Wells, H. G.: The Outline of History. Being a Plain History of Life and Mankind. New York 1921.

Der Adler (Hrsg. v. RLM). Band 5, Berlin (18. April 1939).

 

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